Deutscher Kolonialismus

Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die koloniale Geschichte des Deutschen Reichs gegeben werden.

Die Voraussetzung für den deutschen Kolonialismus wurde 1871 mit der Proklamation des Deutschen Reiches in Versailles geschaffen. Als nun gesamtdeutscher Nationalstaat auf der Basis völkischer Zugehörigkeitsideologien konnte das Deutsche Reich innerhalb Europas schnell an Einfluss gewinnen.
Zwar gab es auch vor 1871 schon Bestrebungen kolonialer Aneignung durch deutsche Händler_innen und Adlige, wie die von Karl V. an die Augsburger Welser verpfändete “Welser-Kolonie” in Venezuela, die 1669 von der “Niederländischen Westindien-Kompanie” an die Grafschaft Hanau vergebenen Gebiete zwischen Orinoco und Amazonas oder das zwischen 1654-1659 und 1660-1693 vom Herzogtum Kurland besetzte “Neukurland” in Tobago.¹ Allerdings wurden erst nach Reichsgründung Kolonien von Deutschen unter den Schutz des Reiches gestellt.

Ende des 19. Jahrhunderts verbreiteten sich, stark beeinflusst von weißen Theoretiker_innen der Aufklärung, sozialdarwinistische, rassistische Theorien die eine Hierarchisierung nach „Rassen“ aufgrund naturwissenschaftlicher und anthropologischer Ansätze zu „beweisen“ versuchten.
In der Folge der Konstruktion „rassischer Andersartigkeit“ der Kolonisierten etablierte sich der Hamburger Carl Hagenbeck 1876 als wichtigster Unternehmer bei der Organisation und Veranstaltung von „Völkerschauen“ und begründete so eine neue Form von „Unterhaltung“ für weiße Europäer_innen. Diese Zurschaustellung von Menschen vor allem in Zoos verbreitete sich in der Folge rasant über die ganze Welt.²

Im Jahr 1884 errichteten „Missionar_innen“ die deutschen Kolonien Togo, Kamerun und „Deutsch-Südwestafrika“ (heutiges Namibia). Die kolonialen Bestrebungen im bis dahin vor allem von Herero und Nama bewohnten “Deutsch-Südwestafrika” wurden maßgeblich von der “Deutschen Kolonialgesellschaft für Südwestafrika” unter reger Beteiligung der Dresdener Bank und der Deutschen Bank getragen.³

Im gleichen Jahr fand in Berlin die „Westafrika-Konferenz“ (auch: “Kongo-Konferenz”) statt, in deren Rahmen nationale Handelsinteressen der teilnehmenden Staaten sowie der Umgang mit und die Anerkennung von Kolonialbesitz untereinander und die Aufteilung von 10 Millionen Quadratmeilen Land in Afrika geregelt wurden. Im Nachgang zur Konferenz wurde auf dem Gebiet der heutigen Staaten Tansania, Burundi und Ruanda die Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ errichtet.

Als wichtiges Ereignis für die Befürworter_innen der kolonialen Politik wurde 1896 in Berlin die „Erste Deutsche Kolonialaustellung“ ausgerichtet, an der auch über einhundert Vertragsarbeiter_innen aus den den Kolonien Togo, Kamerun und „Deutsch-Ostafrika“ teilnahmen.

1899 übernahm das Deutsche Reich die Kolonie „Deutsch-Neuguinea“ (heutiges Nauru, Papua-Neuguinea, Mikronesien, Marshallinseln, Palau) von der deutschen „Neuguinea-Kompagnie“.
Ein Jahr später wurde in der Folge des „Samoa-Vertrags“ die Reichsflagge zur Gründung der Kolonie „Deutsch-Samoa“ (heutiges Samoa) gehisst. Nach der Befreiung der Samoaner_innen von der „Arbeitspflicht“ kam es zur Ausbeutung und Verschleppung chinesischer Arbeitskräfte durch die Kolonisator_innen.

Unter dem Oberbefehl des deutschen Feldmarschall Alfred Graf von Waldersee wurde 1900 ein “Expeditionsheer” aus Soldat_innen alliierter Kolonialmächte zur Niederschlagung des Aufstands der Yihetuan nach China entsand, darunter etwa 12.000 deutsche Soldat_innen. Sie eroberten am 15.8.1900 die Hauptstadt Peking und plünderten diese drei Tage lang.
Vor der Abreise der deutschen Truppen hielt der damalige deutsche Kaiser Wilhelm II seine berüchtigte “Hunnenrede”:

„Die Chinesen haben das Völkerrecht umgeworfen, sie haben in einer in der Weltgeschichte nicht erhörten Weise der Heiligkeit des Gesandten, den Pflichten des Gastrechts Hohn gesprochen. Es ist das um so empörender, als dies Verbrechen begangen worden ist von einer Nation, die auf ihre alte Kultur stolz ist. Bewährt die alte preußische Tüchtigkeit, zeigt euch als Christen im freudigen Ertragen von Leiden, mögen Ehre und Ruhm euren Fahnen und Waffen folgen, gebt an Manneszucht und Disziplin aller Welt ein Beispiel […] Kommt ihr vor den Feind, so wird er geschlagen. Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht. Wer euch in die Hände fällt, sei in eurer Hand. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutschlands in China in einer solchen Weise bekannt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“

Auf die Gewalt der Kolonisator_innen reagierend, kam es von 1904 bis 1906 in „Deutsch-Südwestafrika“ zu Widerstandskämpfen der Khoikhoin, Nama und Herero. In der ersten Schlacht 1904 gelang es den aufständischen Herero beinahe, die deutschen Besatzungstruppen zu besiegen. Nach Eintreffen von Verstärkung aus dem Deutschen Reich ließ der deutsche General Lothar von Trothar einen Genozid verüben, dem etwa 75.000 Herero, Nama, Damara und San zum Opfer fielen. Die wenigen Überlebenden wurden 1907 von deutschen Soldat_innen gebrandmarkt und zur Zwangsarbeit in Konzentrationslagern interniert, wo sie die Schädel der Toten von Glasscherben säubern mussten, um diese in anthropologischen Sammlungen auszustellen.
1905/1906 verboten die Kolonialverwaltungen in „Deutsch-Ostafrika“ und „Deutsch-Südwestafrika“ sogenannte „Mischehen“ und die Diskussion um die „Mischlingsfrage“ wurde zur Aufrechterhaltung der „rassischen Ordnung“ im Reichstag diskutiert.
In Deutsch-Ostafrika kam es infolge der durch den Kolonialverbrecher Hermann von Wissmann verhängten “Hüttensteuer” zwischen 1905 und 1908 zu antikolonialen Widerstandskämpfen (Maji-Maji-Aufstand)von breiten Teilen der kolonisierten Bevölkerung, wobei zwischen 75.000 und 300.000 Menschen von deutschen Truppen in den Aufstandsgebieten ermordet wurden.¹⁰

Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 wurden in Kamerun ebenfalls 200 Widerstandskämpfer_innen durch die Eroberer_innen hingerichtet. Der nach Kriegsende abgeschlossene Vertrag von Versailles teilte die deutschen Kolonien unter den alliierten Sieger_innen des Krieges auf.

Alle am Zweiten Weltkrieg beteiligten Mächte setzten Ressourcen und Menschen aus den Kolonien ein. Insgesamt kämpften und starben mehr Soldat_innen aus dem Globalen Süden als Europäer_innen.¹¹

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1 Roth, Julia: Latein/Amerika. In: Arndt, Susan & Ofuatey-Alazard, Nadja (Hg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache (Münster 2011, S. 441)

2 Sow, Noah: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus (München 2009, S. 84-86)

3 Gülsen, Deborah Sarah: Die Kolonialgeschichte Deutschlands In: ZAG Antirassistische Zeitschrift: Nummer 70/2015 Postkoloniale Spurenlese S.10-12 (ISSN: 2192-6719)

4 Sow, Noah: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus (München 2009, S. 84-86)

5 Ebd.

6 https://de.wikipedia.org/wiki/Yihetuan (abgerufen am 16.06.2015)

7 Ebd.

8 Gülsen, Deborah Sarah: Die Kolonialgeschichte Deutschlands In: ZAG Antirassistische Zeitschrift: Nummer 70/2015 Postkoloniale Spurenlese S.10-12 (ISSN: 2192-6719)

9 http://che2001.blogger.de/stories/713844/ (abgerufen am 16.06.2015)

10 Clausing, Peter: Naturschutz. In: Arndt, Susan & Ofuatey-Alazard, Nadja (Hg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache (Münster 2011, S. 459)

11 Rössel, Karl: Unsere Opfer zählen nicht. Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg (Freiburg, 2009. http://audioarchiv.blogsport.de/index.php?s=karl+r%C3%B6ssel, abgerufen am 26.10.2015)